Messen und Anzeichnen I

Es erscheint nahezu selbstverständlich, daß Messen und Anzeichnen sehr wichtige Aspekte im Möbelbau sind.

Interessant ist dabei auch, daß die meisten Menschen dabei unmittelbar an die Verwendung von Instrumenten wie Meterstab, Massband oder Schieblehre bzw. Messschieber denken. Da diese intuitive Orientierung an Messmitteln die Prioritäten oft schon von Anfang an vertauscht, soll auf diesen Umstand einführend eingegangen werden.

Mindestens so bedeutsam wie das Anstreben absoluter Genauigkeit sind die Begriffe der Wiederholgenauigkeit, Präzision und Proportion, auf die im Folgenden - nicht erschöpfend - eingegangen werden soll.

Vorweg ein kurzer Exkurs in die Bedeutung des Messens, bevor zentrale Begriffe und ihr Hintergrund erläutert werden.

Messen

Messen als solches ist zuerst einmal nicht von einem Medium oder einer Einheit abhängig. Sehr reduziert ist ein Maß die Distanz zweier Punkte. Diese Distanz kann hochpräzise ermittelt sein, aber womöglich nicht in der gleichen Präzision reproduziert werden.

Was theoretisch klingt, erschließt sich, wenn man bedenkt, dass sowohl die Messmittel wie auch die gemessenen Objekte pyhsikalischen Veränderungen und damit Ungenauigkeiten unterliegen. Zudem sind die Skalen und Messsysteme, die wir verwenden, willkürlich gewählt. Messmittel und Masssysteme als Denkhilfen sind vorteilhaft, es ist jedoch wichtig, ihre Grenzen bewusst zu erkennen.

In der Praxis fühlt es sich womöglich besser an, einen ganzzahligen Wert zu verwenden. Häufig werden auch Rohmaterialien normiert auf eine bestimmte Größe angeboten, so daß es sinnvoll ist, unterhalb bestimmter Dimensionen zu planen. Tatsächlich sind Messwerte aber vor allen Dingen willkürliche Hilfestellungen für Berechnungen. Einfach ersichtlich ist dies an folgenden Äquivalenzen:

20 Zentimeter = 7,87401575 Zoll

7,0 Zoll = 17,78 Zentimeter

Was im metrischen System klar aussieht, ist im zöllischen System schief und umgekehrt. Recht hat niemand.

Die Maßgabe kann also nur sein, Möbel und ihre Maße nach dem Verwendungszweck und den Bedürfnissen der Benutzer zu gestalten und zu planen und nicht von der Vorgabe fiktiv gewählter Maße abhängig zu machen.

Erst danach ergibt es Sinn, sich Messmittel und Maßsysteme zunutze zu machen, um Berechnungen anzustellen. Denn generell ist das metrische, zöllische oder an welcher Maßeinheit auch immer orientierte Messen vor allem ein Hilfsmittel, das eine Vereinfachung erlaubt, indem es der Arithmetik zugänglich ist.

Absolute Genauigkeit

Sofern die Größe eines Möbels nicht exakt von Maßen abhängig ist, die sein Standort - wie eine Wandnische - vorgeben, ist die Orientierung an Einheiten eines Maßsystems beim Entwurf zunächst ein vernachlässigbares Konzept.

Eine absolute Genauigkeit existiert bei keinem natürlichen Material. Raumvolumina von Materialien werden durch äußere, nur begrenzt kalkulierbare Faktoren wie der Temperatur bestimmt. Durch den Umstand, daß Metall oder Stein bedeutend geringeren dimensionalen Veränderungen ausgesetzt sind, wird dies häufig auch für Holz angenommen.

Dies ist nicht der Fall, nachdem Holz auch durch die permanent sich verändernde Luftfeuchtigkeit relevanten maßlichen Veränderungen ausgesetzt ist, die durchaus mehrere Millimeter betragen können. Zu akzeptieren, daß eine hochpräzise Absolutgenauigkeit für den Bau exakter Möbel weder notwendig noch sinnvoll ist, ist ein wichtiger Schritt.

Aus dieser Persepktive sollte man sich bewusst werden, daß es bei Holz im Regelfall ausreicht, auf den Millimeter zu messen. Zehntel zu berücksichtigen, wie in der Metallbearbeitung üblich, ergibt praktisch betrachtet keinen Sinn.

Es hat keinen Nutzen, einen Stuhl exakt auf 43,35 mm Sitzhöhe anfertigen zu wollen, weil nicht vorhersehbare weitere Schritte bei Messen, Zuschnitt, Verleimen oder auch die Lage der Jahresringe dazu führen können, daß der Stuhl final etwas höher oder niedriger ist. Für Sitzende wird der Unterschied nicht spürbar sein.

Größen- und Formveränderung von Holz steht in engem Zusammenhang mit den Wuchseigenschaften und der Struktur der Pflanze Baum. Bei Möbeln wirkt sich die Holzart selbst sowie der Teil des Stamms, aus dem ein konkretes Stück Holz geschnitten ist, auf sein Schwund- und Quellverhalten sowie statische Eigenschaften aus. Dieser Themenbereich ist so umfangreich, daß er in einer gesonderten Reihe behandelt wird.

Wiederholgenauigkeit

Möbel und ihre Teile sind in aller Regel symmetrisch aufgebaut, häufig sind ihre Elemente in rechten Winkeln und Regelgeometrien angeordnet. Diese grundlegende Struktur verlangt beim Anzeichnen und Anreissen die identische Markierung von Teilen, die einem symmetrischen Aufbau angehören und u.U. auch räumlich auseinanderliegen.

Sofern dies nicht mit ausreichender Genauigkeit berücksichtigt wird, entstehen Irregularitäten. Werden beispielsweise die Zapfenverbindungen einer Tür nicht auf beiden Seiten des Rahmens präzise identisch angezeichnet und ausgeführt, wird die Tür nicht rechtwinklig sein und entsprechend im Schrank unterschiedliche Spaltbreiten bzw. Luft aufweisen.

Präzision

Präzision meint Exaktheit. Diese Anforderung gilt unabhängig von Maßskalen oder konkreten Bearbeitungsschritten. Möbel sind typischerweise komplexe Kontruktionen, deren Teile hinreichend genau gefertigt werden müssen, um sich wie beabsichtigt zu einem Ganzen zusammenzufügen.

Präzision kann sich im exakten Messen oder Anreissen, aber auch im exakten Stemmen eines Zapfenlochs zeigen. Im Kern gilt es, eine getroffene Entscheidung möglichst präzise praktisch umzusetzen. Fehlende Exaktheit zieht im Wesentlichen die Folgen nach sich, die bereits bei der Wiederholgenauigkeit benannt wurden.

Präzision verhält sich relativ zu den Anforderungen und ist nicht absolut, sondern abhängig von der Situation zu verstehen. Es kann z.B. auch kontraproduktiv sein, eine Holzverbindung mit so präziser Passung zu fertigen, daß der Leim keinen ausreichenden Platz mehr findet und die Verbindung dadurch eine nur stark reduzierte Festigkeit erreicht.

Proportion

Die Proportion gibt die Größenverhältnisse innerhalb eines Bauteils oder zwischen Teilen und Elementen an. Sie bestimmen die äußere Anmutung und damit den Eindruck, der darüber entscheidet, ob ein Möbel als ästhetisch wahrgenommen wird.

Dieses Maß ist in keiner Weise absolut, sondern basiert auf relativen Verhältnisse. Bestimmte Verhältnisse gelten als harmonisch (goldener Schnitt 1:1,6) oder ästhetisch bedeutend (1:1, 1:2 und Vielfache, sowie die Verhältnislehre von Le Corbusiers "Modulor").

Die Berücksichtigung zueinander stimmiger Maße führt in der Planung eines Möbels häufig schon frühzeitig zu einem optisch logisch anmutenden und überzeugenden Aufbau.


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